New Yorkers

Street Portraits 2012

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Ausstellungsplakat "New Yorkers", 2013

VON ANGESICHT ZU ANGESICHT

„NEW YORKERS“ VON CHRISTIAN REISTER

Christian Reister ist ein Flaneur, ein Reisender. Im Schatten von Flaubert und Benjamin zieht der Berliner Fotograf durch die Städte der Welt, sieht und sammelt; im Sommer 2012 zum wiederholten Male auch in New York. Hier entsteht die Reihe „New Yorkers“, die nun erstmals im playing with eels in Kreuzberg zu sehen ist.

Christian Reister schaut bei seinen städtischen Streifzügen mit offenem, neugierigen, bisweilen sogar liebevollen Blick auf die Absurditäten des Alltags. Diesen Blick kennen wird aus seinen „Urban B´Sides“ (seit 2004) oder der Berliner Serien wie „Alex“ (2008-2010) oder „Nacht“ (seit 2011). In „New Yorkers“ stellt Reister wie in den meisten Arbeiten den Menschen ins Zentrum, der sich im hektischen Gemenge der Stadt für einen kurzen Moment von der Masse abhebt und als Individuum sichtbar wird, bevor er wieder in ihr verschwindet: Der Banker, die Verzagte, der träumende Putzmann, der Freak, die irre Alte, die Hipster, das verliebte Teenagerpärchen, die Normalos.

Christian Reister macht dabei vieles von dem sichtbar, was normalerweise in der Trott des Alltags ungesehen bleibt. Ihm gelingt dieses Sichtbarmachen, indem er selbst aus der Deckung geht. Er tritt heraus aus dem auch ihn schützenden Passantenstrom, er exponiert sich und sucht in der um ihn herum weiter ziehende Masse sein Gegenüber. In der hektischen Anonymität der Stadt entsteht so ein kurzer Moment des Stillstands. Die Zeit wird für die Dauer des fotografischen Dialogs angehalten, es entsteht mitten im Gewühle ein Moment der Aufmerksamkeit, der Begegnung, des Respekts für den anderen.

Die Künstlerin Marina Abramovic saß 2010 in ihrer Ausstellung „The artist ist present“ im MoMA in New York während einer wochenlangen Performance fremden Menschen gegenüber und schaute ihnen einfach nur aufmerksam ins Gesicht. Viele ihrer Gegenüber hielten die Konfrontation mit Abramovic kaum aus, reagierten sehr emotional, brachen in Tränen aus. Das bringt uns heute also aus der Fassung: Wenn sich ein Mensch im Trubel unseres Alltags, in einem Leben ohne Pause, im Zeitalter von ständiger Kommunikation und Erreichbarkeit einfach vorbehaltlos mit Zeit, Konzentration und bedingungsloser Aufmerksamkeit dem anderen widmet.

Auch die porträtierten Passantinnen und Passanten, die von Christian Reister fotografiert werden, während sie eigentlich gerade von einem Ort zum nächsten hetzen, sind diesen Moment der Aufmerksamkeit nicht gewöhnt, sie erwarten ihn nicht. Reister überrascht sie, erfreut sie, verunsichert sie. In diesem Moment der Überraschung gelingt ihm nun etwas besonders: er bringt die Menschen dazu, im bewussten, posierten Bild, das Private zu offenbaren. Susan Sontag beschreibt, wie Walker Evans Fotos von Menschen in New Yorker U-Bahnen machte, indem er seine Kamera unter seinem Mantel versteckte, damit die Menschen ihr „privates Gesicht [zeigten], nicht das Gesicht, das sie der Kamera präsentiert hätten.“ Brassaï dagegen sprach sich gegen Fotografen aus, die ihre Modelle ohne deren Wissen fotografieren, weil sie – so Brassaï – fälschlicherweise glauben, auf diese Weise etwas besonders enthüllen zu können.

Reister wertet diese beiden konträren Herangehensweisen nicht, die eine ist für ihn so authentisch oder legitim wie die andere. Im Gegenteil: Er bedient sich explizit beider Änsätze, um so immer wiederkehrende Themen in seiner Arbeit aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. In der Serie „New Yorkers“ stehen ihm seine Protagonisten im vollen Bewusstsein gegenüber und werden mit ihrem Einverständnis fotografiert. Die Bilder erzählen mehr, nicht obwohl, sondern weil sie aus einer Begegnung auf Augenhöhe entstehen.

Reister entscheidet sich zudem explizit gegen eine glamouröse oder aufgeladene Kulisse, die New York so einfach böte. Vor einer schlichten grauen Backsteinwand stehen die Porträtierten und blicken ihrem Fotografen in Gesicht. Gerade in diesem reduzierten Setting wird plötzlich vieles sichtbar: Herausgenommen aus dem städtischen Kontext , der uns als BetrachterInnen helfen würde, die Porträtierten einzuordnen, stehen sie plötzlich isoliert vor einer Hauswand, die überall und nirgends sein könnte. Dieser Umraum wird zum Echo ihres Körpers: Bei manchem fungiert er als Bühne, auf der in gewohnter oder vorgetäuschter Souveränität posiert wird, andere stehen plötzlich allein, unsicher und überraschend verletzlich in einer Umgebung, die nun fast feindlich wird. Dabei werden die Porträtierten zum Spiegel des Fotografen: Seismographisch bilden die Fotos auch den Fotografen selbst ab, der sich in der Auswahl seiner Protagonisten ebenso wie ihrem Blick und ihrer Haltung widerspiegelt.

— Katrin Ströbel, Text zur Ausstellung, Februar 2013

„Christian Reister hat »New Yorkers« ohne New York fotografiert, »von Angesicht zu Angesicht«. (…) Vor einer grau gestrichenen Ziegelmauer hat er sein Stativ aufgebaut, inmitten des quirligen Stroms der Passanten, bittet immer wieder Einzelne oder Paare für einen Augenblick vor seine Kamera, nutzt die Überraschung, den Moment der Konzentration auf die unerwartete Situation, und so gelingen ihm wunderbare Menschenbilder, in denen die Zeit angehalten ist, aber das Leben erst recht zur Geltung kommt. Beglückend!”

— Klaus Rabien in Brennpunkt, Ausgabe 2/20013

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